44. Sokratisches Treffen

Termin:
Freitag, 23.4.2021 – Samstag, 24.4.2021
Thema:
Afrikanische Philosophie

Philosophie galt lange und gilt z.T. noch heute als eine rein europäische Errungenschaft, die im antiken Griechenland mit Thales von Milet ihren Anfang nahm. Doch lässt schon der griechische Philosophiehistoriker Diogenes Laertios (2.-3. Jh. n. Chr.) seine ausführliche Darstellung der Biographien und Lehrmeinungen griechischer Philosophen mit einer Diskussion darüber beginnen, ob man Philosophie als eine griechische oder noch ältere nichtgriechische (etwa ägyptische oder indische) Erfindung anzusehen habe. Die Philosophie und Philosophiegeschichte der Gegenwart hat unter dem Stichwort „Global Philosophy“ die Perspektive deutlich über den westlich-europäischen Horizont hinaus erweitert und Stellungnahmen außereuropäischer Traditionen zu Grundfragen wie der Position des Menschen in der Welt, menschlichem Zusammenleben oder der Möglichkeit von Erkenntnis integriert. Fragen wie die nach dem Verhältnis von Universalität und Partikularität, nach dem spezifischen Charakter philosophischen Fragens und Antwortens und letztlich nach dem Philosophiebegriff überhaupt erhalten damit eine neue Vitalität und Brisanz. Ein ausgesprochen lebendiges, in Europa aber noch weitgehend unbekanntes Feld sind hier die vielfältigen Traditionen des afrikanischen Kontinents. Hier entwickeln sich die aktuellen Diskussionen vielfach vor dem Hintergrund der Kolonialvergangenheit: In welchem Verhältnis stehen die Aneignung der europäischen Tradition und der Rekurs auf indigenes Philosophieren? Gibt es „die“ afrikanische Philosophie im Kontrast zu „der“ europäischen/westlichen Philosophie? Welche Rolle spielt Philosophieren als Mittel afrikanischer Selbstbehauptung unter den Bedingungen der postkolonialen Situation? Diesen und ähnlichen Fragen wandte sich die – aufgrund der Corona-Pandemie digital per Zoom durchgeführte – Tagung anhand von Vorträgen international anerkannter Experten zu.

Programm


Samstag, den 24. April 2021

9.30 Uhr
Eröffnung: Prof. Dr. Christian Tornau
Dr. Björn Freter, Knoxville:
Einführung in das Tagungsthema

10.00 - 11.00
Prof. Dr. Rolf Elberfeld, Hildesheim:

Philosophieren im geschichtlichen Kontext Afrikas und die Erfahrungen des Kolonialismus

1927 erschien das Buch Primitive Man as Philosopher von Paul Radin, zu dem John Dewey ein lobendes Vorwort schrieb und sagte: »Dr. Radin’s work opens up an almost new field.« Gut dreißig Jahre später nahm Kwasi Wiredu – einer der wichtigsten Denker mit afrikanischem Kulturhintergrund in der Gegenwart – dieses Buch während seines Philosophiestudiums in Ghana zur Kenntnis, konnte es aber nicht lesen, da er sich selbst als ein „Primitive Man“ angesprochen fühlte. Ausgehend von dieser Situation wurde die Grundproblematik der kolonialen Erfahrung und ihre Auswirkungen auf das Philosophieren anhand von verschiedenen Denkern und Denkerinnen mit afrikanischem Kulturhorizont aufgezeigt. Am Ende des Vortrags wurde die Frage gestellt, ob und wie heute Formen postkolonialen Philosophierens möglich sind.

11.30 - 12.30
Dr. Stefan Skupien, Berlin:

Das schreibende Individuum: Die Arbeitsweise afrikanischer Philosophie nach Paulin Hountondji

Im Zentrum der akademischen afrikanischen Philosophie stand in den 1960ern und 1970ern die Debatte, auf welche Quellen sie sich stützen kann und soll. Kollektive lokale Vorstellungen von Tugenden und Lebenszielen, Göttern und Spiritualität, Erkenntnismöglichkeiten und Wahrheitsvorstellungen sollten mindestens ebenbürtig behandelt werden wie der von den Kolonialmächten hinterlassene Kanon. Dabei stellte sich nicht nur die Frage nach dem Inhalt einer lokalen Philosophie, sondern auch die nach der Besonderheit und Aufgabe afrikanischer Philosophie.

Der beninische Philosoph Paulin Hountondji hat sich nach seiner Ausbildung in Frankreich stark in der Debatte engagiert und dabei gegen eine spezifische Form der kollektiven, mündlich überlieferten Philosophie gewandt. Mit seiner Entmystifizierung kollektiver Glaubensvorstellungen ging die Forderung einher, afrikanische Philosophie als eine Tätigkeit zu verstehen, die schreibend von einem Individuum ausgeführt wird, das afrikanischer Herkunft ist. In dem Vortrag ging es um die Genese und die Folgen dieser These für (afrikanische) Praktiken der Philosophie.

14.30 - 15.30
Dr. Julien Bobineau, Würzburg

Behalten, verwalten oder zurückgeben? Die Restitution von afrikanischen Kulturobjekten als Fundament einer 'nouvelle éthique relationnelle‘ (Sarr/Savoy)

Im Jahre 2017 erregte die von Emmanuel Macron angestoßene Debatte um die Restitution von afrikanischen Kulturgütern internationales Aufsehen: Erstmals in der Geschichte übernahm ein französischer Staatspräsident moralische Verantwortung für das Unrecht, das während der französischen Kolonialherrschaft in Afrika, Asien und der Karibik verübt wurde. Macron beauftragte daraufhin Felwine Sarr und Bénédicte Savoy mit der Untersuchung der Sammlung des Musée du quai Branly in Paris, um die Bedingungen für die Restitution von kolonialen Raubgütern zu prüfen. Im Rahmen des Vortrags wurden Sarrs und Savoys Erkenntnisse einer ‚nouvelle éthique relationnelle‘ auf das AfricaMuseum in Brüssel und das Linden-Museum in Stuttgart übertragen, um beide Einrichtungen vor dem Hintergrund der Restitutionsdebatte zu evaluieren. Ziel des Vortrages war es, das ethische Potential einer postkolonialen, eurafrikanischen Dialogizität vor dem Hintergrund kolonialer Diskurse sichtbar zu machen.

16.00 - 17.00
Prof. Dr. Kai Kresse, Berlin

Henry Odera Orukas 'Sage Philosophy'-Projekt: Feldforschung zu Denkern und zum Philosophieren

Der kenianische Philosoph Henry Odera Oruka verfolgte seit den 1970er Jahren ein Forschungsprojekt, in dem er in Kenia umherreiste und (männliche und weibliche) Denker interviewte, die in ihren jeweiligen Gemeinschaften als 'weise' galten. Die resultierenden dokumentierten Interviews und Diskussionen diskutierte und bewertete er im Nachhinein mit Blick auf ihren philosophischen Gehalt. Hierbei war seine Intention, die reale Existenz philosophischer Denker in gegenwärtigen afrikanischen Lebenskontexten zu beweisen und reflexiv zu bearbeiten. Dieses 'Sage Philosophy'-Projekt (Buchpublikation 1990) sah er als wichtigen alternativen dritten Weg in der damaligen heftig zerstrittenen Debatte über afrikanische Philosophie, zwischen der sogenannten Ethnophilosophie und professionellen akademischen Philosophen. Auch sah Oruka in seinem Ansatz direkte Verbindungen zum sokratischen Philosophieren, indem er einerseits den Philosophen als internen Kritiker (und sogenannte 'Pferdefliege' oder Bremse) verstand, und andererseits thematisch ausgerichtete dialogische Diskussionen mit seinen Gesprächspartnern zu führen suchte. Ich lernte Oruka in den 1990er Jahren persönlich kennen und ließ mich von seinem Projekt inspirieren, ein weiterführendes Feldforschungsprogramm einer 'Anthropology of Philosophy' zu entwickeln (was sich in Teilen kritisch von Oruka abhebt) und ein Projekt zu philosophischem Diskurs an der Swahili-Küste durchzuführen (Buchpublikation 2007, 'Philosophising in Mombasa'). In den vergangenen drei Jahren habe ich, gemeinsam mit ehemaligen Studenten Orukas, in Nairobi und New York mehrere Workshops zur weitergehenden Relevanz von 'Sage Philosophy' durchgeführt. Mein Vortrag setzte diese verschiedenen Stränge in Relation zueinander und diskutierte sie im Kontext zueinander – und dem weiteren umgebendem Forschungsfeld.

Mehr von Kai Kresse:
https://historyofphilosophy.net/anthropology-philosophy-kresse
https://them.polylog.org/2/dwk-en.htm

19.00 - 20.00
Verleihung des „Sokratischen Selbstdenker-Preises“ und des Sonderpreises zur Bewerbung des Faches Altgriechisch


1. Platz: Jana Stetter (Wirsberg-Gymnasium Würzburg)
2. Platz: Luise Schottelius (Wittelbacher-Gymnasium München)
Sonderpreis: Aurelia Feiner und Team (Albertus-Magnus-Gymnasium Regensburg) für den Film „Sieben gegen Eris“

Karl-Wieland Kurz (*1961):
Carmina Humboldtiana (Teil-Uraufführung nach Texten von Günter Stahl)

Yei Rang Kim:
Liedersammlung; mit Text von Günter Stahl (Klavier: Hyun-hwa Pola Park, Sopran: Cecilia Seo)
“Pa Do” (die Welle) für Klavier solo (Klavier: Yei Rang Kim)