37. Sokratisches Treffen

Termin:
Samstag, 20.4.2013 – Sonntag, 21.4.2013
Thema:
Sokrates und die Kunst

„Sokrates und die Kunst, Sokrates in der Kunst“. Die vielfältige Art, mit der die Kunst sich seit der Antike in Literatur und bildender Kunst, in Drama und Oper mit der Sokratesgestalt auseinandersetzte, ist immer wieder Gegenstand lebendiger Diskussionen. In der Tat trägt die Sokratesgestalt selbst, diese vielleicht irritierendste, aber auch anregendste Figur der Antike, zu jener heilsamen Verunsicherung und jener Suche nach Wahrheit bei, die nach Platon den Anfang aller Philosophie, ja ihr wesentliches Merkmal ausmacht. Dieser Facettenreichtum war aber auch Gegenstand des Spottes. Beide Aspekte haben auch immer wieder bildende Künstler inspiriert. Die Beiträge unseres diesjährigen Treffens wollen der Rezeption der Sokratesfigur in der Kunst nachspüren und auf diese Weise zu der anhaltenden Diskussion beitragen.

Programm


Samstag, den 20. April 2013

9.30
Eröffnung: Prof. Dr. Michael Erler
10.00 - 11.00
Prof. Dr. Klaus Döring, Bamberg

Zur Instrumentalisierung der Gestalt des Sokrates in zwei komischen Opern des 18. Jahrhunderts

In den Sokratischen Schriften Platons und Xenophons ist nichts davon zu lesen, aber schon für Aristoteles war es ein Faktum, dass Sokrates zwei Frauen hatte, zunächst die bekannte Xanthippe und später zusätzlich zu ihr eine zweite namens Myrto, eine verwitwete und verarmte Enkeltochter Aristeides‘, des Gerechten. Über die heftigen Eifersüchteleien der beiden Frauen untereinander, ihre Streitereien miteinander und Sokrates‘ Versuche, Frieden zwischen ihnen zu stiften, wurden in der Antike mancherlei Geschichten erzählt. Diese Geschichten dienten im 18. Jahrhundert als Stoff für zwei komische Opern, die auch heute noch bisweilen aufgeführt werden, Georg Philipp Telemanns „Der geduldige Sokrates“ (1721) und Giovanni Paisiellos „Socrate immaginario“ (1775). In Telemanns Oper erscheint Sokrates als abgeklärter Weiser, der über den Dingen schwebt und sich durch die Attacken der beiden Frauen gegeneinander und gegen ihn in seiner Seelenruhe nicht im Mindesten beeinträchtigen lässt. Die Handlung der Oper Paisiellos, deren Libretto in der Hauptsache von dem berühmten Abbé Galiani stammt, ist erheblich komplizierter. Hier geht es darum, dass ein Gelehrter sich einbildet, ein zweiter Sokrates zu sein, und deshalb in allem, was er plant und tut, den ‚ersten‘ Sokrates so genau wie möglich zu imitieren sucht, u.a. auch darin, dass er eine zweite Frau zu gewinnen trachtet. Diesen Wahn machen sich seine energische erste Frau, seine Xanthippe, und andere Personen aus seinem Umfeld zunutze, um ihn schließlich von eben diesem Wahn zu befreien.

11.30 - 12.30
Prof. Dr. Matthias Steinhart, Würzburg

Ein Bild von Sokrates

Das Portrait des Sokrates ist in römischen Skulpturen nach dem Vorbild zweier Porträtstatuen des 4. Jahrhunderts v. Chr. und auch in anderen Kunstgattungen erhalten. Von den zwei Porträtstatuen zeigt der ‚Typus A‘den glatzköpfigen Sokrates mit breiter Nase, wulstigen Lippen, recht kleinen, zusammengekniffenen Augen. Bei ‚Typus B‘ sind die Züge zurückgenommen, Augen und Lippen weniger auffallend; als Bildhauer dieses Bildnisses gilt der berühmte Lysipp. In römischer Zeit begegnet das Bildnis des Philosophen zudem auf Wandmalereien wie Mosaiken oder auf Gemmen, von Köln über Ephesos bis nach Baalbek. Die Funktion dieser Porträts in der römischen Zeit kann mit einem Bildungsanspruch begründet werden. Die Porträtstatuen des 4. Jahrhunderts v. Chr. hingegen sind einem anderen Gedanken verpflichtet: ‚Typus A‘ wird auf Anhänger des Sokrates zurückgehen, ‚Typus B‘ wird mit der Sühnestatue in Verbindung gebracht, die die Athener im Pompeion – ein Mehrzweckgebäude, an dem der Zug an den „Großen Panathenäen“ begann – aufstellen ließen. Das Fragment einer Statuette wurde südlich der Athener Agora in einem Gebäude entdeckt, das als Staatsgefängnis angesehen wird: Damit würde es sich um ein Zeugnis der Erinnerungskultur an den berühmten Gefangenen handeln. Mit seinen ungewöhnlichen Zügen scheint sich Sokrates sehr grundsätzlich von anderen griechischen Porträts abzuheben – insbesondere im Vergleich mit einem Perikles oder Sophokles –, doch finden die bereits in der Antike als ‚hässlich‘ charakterisierten Züge des Philosophen in der künstlerischen Umsetzung durchaus Vorläufer, so in der Wiedergabe des kleinwüchsigen Äsop oder vor allem der klassischen Wiedergabe einer alten Frau, wohl dem Porträt der Athenapriesterin Lysimache. Sehr viel ungewöhnlicher ist die auch in der antiken Literatur hervorgehobene Ähnlichkeit des Sokrates mit den Silenen, den gegenüber den Satyrn gesetzteren Begleitern des Dionysos. Sie hat dazu geführt, dass mitunter auch Darstellungen von Silenen als Sokrates missverstanden wurden.

14:30 - 15:30
Dr. Eva Maria Kaufmann, Berlin:

"Nur die Weisen können tun, was sie begehren"? Facetten der Sokrates-Ikonographie

Seit der Antike ist Sokrates ein schier unerschöpfliches Thema der bildenden Kunst, das unter immer neuen, in der jeweiligen Epoche aktuellen Gesichtspunkten aufgegriffen wird. Anknüpfend an die im Vortragstitel zitierte Beischrift aus einer Miniatur des mittelalterlichen Hortus deliciarum wurden Aspekte der Sokrates-Ikonographie aus dem 18. Jahrhundert – dem „siècle philosophique“ – vorgestellt. Speziell in einer der damals führenden Kunstgattungen, dem Landschaftsgarten, ist Sokrates mehrfach vertreten: so als lebensgroße Statue im „Temple of Ancient Virtue“ in Stowe oder der Eremitage zu Bayreuth, aber auch mit einer „Hütte des Sokrates“ im „Tal der Philosophen“ zu Füßen des Herkules in Kassel. In diesem Zusammenhang ist der Garten nicht nur als Rückzugsort und Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaft zu verstehen, sondern auch als Ort der Kontemplation, des Studiums und des philosophischen Gesprächs. Wie eng die Sokrates-Ikonographie mit den Diskussionen dieser Zeit verknüpft war, zeigen drei Bilder, die Sokrates’ Gefangenschaft und Tod behandeln. Während Franz Anton Maulbertsch im Deckengemälde der Bibliothek des Prämonstratenserklosters Strahov in Prag ihn als Vorläufer des Christentums unter einer großen Anzahl antiker Philosophen besonders hervorhebt, geht es Nicolai Abildgaard in seinem Gemälde „Sokrates und sein Genius“ im Sinne der Aufklärung wohl gerade um eine Emanzipation von der Religion, die durch die „natürliche Vernunft“ ersetzt werden soll. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Johann Gottfried Schadow, der unter die im Kerker um Sokrates versammelten Freunde und Schüler das Porträt von Moses Mendelssohn einfügt: ein implizites Plädoyer für Toleranz und bürgerliche Gleichstellung der Juden. Aber auch bei der Suche nach neuen Bildthemen wurden die Künstler bei der Gestalt des Sokrates fündig. Der an Philosophie in besonderem Maße interessierte Asmus Jakob Carstens zeigt „Sokrates im Korbe“ nach der Komödie des Aristophanes, um anhand dieses Topos die falsche und die richtige Nachahmung des Weisen thematisieren – denn, so weiß der Platonkenner: „Nur die Weisen können tun, was sie begehren“.

Johann Gottfried Schadow: Sokrates im Kerker, 1800, Feder in Sepia, laviert, aquarelliert, weiß gehöht, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

15.30-16.30
Marion Schneider, Würzburg:

Sokrates und der Tyrann in der arabischen Welt. Das libanesische Musical ‘The last days of Socrates’ von Mansour Rahbani (1998)

Der Vortrag stellte das libanesische Musical „Die letzten Tage des Sokrates“, in dem Sokrates als eine Art „erster Märtyrer der Wahrheit“ auf die Bühne gebracht wird, vor dem Hintergrund der gespaltenen Geschichte des Libanon und der identitätsstiftenden Musik der großen libanesischen Künstlerfamilie Rahbani vor.

Seit den 1950er Jahren hatte das Künstlertrio der Rahbani-Brüder Asi und Mansour (1925-2009) zusammen mit der Sängerin „Fayruz“ (Ehefrau von Asi), nicht nur die Musik des Libanon und der arabischen Welt, sondern auch das Selbstverständnis des auf Grund seiner Multikonfessionalität tief gespaltenen Libanon entscheidend geprägt. Diese Bedeutung hatte sogar das Auseinanderbrechen des Trios bzw. den Tod Asis inmitten des libanesischen Bürgerkrieges (1975-1990) überdauert.

Vor diesem Hintergrund gewinnt auch das gefeierte libanesische Musical zur Figur des Sokrates aus der Feder von Mansour Rahbani (1998) an Brisanz, zumal in Rahbanis Fassung der letzten Tage des Sokrates starkes Gewicht auf die politische Seite des Philosophen gelegt wird: Der erste Akt des Stückes, das durchaus heiter beginnt, wird durch den Widerstand des Sokrates gegen die 30 Tyrannen unter Führung des spartafreundlichen Kritias, eines einstigen Sokrates-Schülers, bestimmt. Anspielungen auf die libanesische Tagespolitik unter syrischer Einflussnahme liegen nahe. Auf den zweiten Teil wirft früh die Verurteilung des Sokrates zum Tod seine Schatten voraus, auch wenn diese zunächst die Konsequenz rein persönlicher Intrigen zu sein scheint, in die sogar Sokrates’ als Sympathieträgerin gezeichnete Frau Xantippe verwickelt ist. Die eigentliche Bedeutung des sokratischen Sterbens als Tod eines Märtyrers für Demokratie und Wahrheit geht aber aus den letzten pathosgeladenen und verklärenden Szenen des Stückes hervor. Das Publikum ist – den Worten des Autors selbst zufolge – eingeladen, sich Sokrates’ „Kampf für Veränderung mit dem Wort als Waffe“ anzuschließen. Wie die Reaktionen auf das Stück auf Youtube, offenbar mitten aus dem Arabischen Frühling heraus, zeigen, wurde diese Einladung im arabischen Raum immer wieder als solche verstanden.


Sonntag, den 21. April 2013

9.30 - 10.30
Charlotte Müller, Forchheim:

Die Mode zu Zeiten des Sokrates – Art und Stil der Bekleidung vor dem Hintergrund von kulturellem und politischem Zeitgeschehen

11.00 - 13.00

Filmvorführung: Der Prozeß des Sokrates
BR Deutschland 1987, TV-Film
Regie: Dorothea Neukirchen
Darsteller: Hark Bohm, Traugott Buhre u.a.