Gelebte Sokratik

Freifrau Heinke von Löw zu Steinfurth

„Binde deinen Karren an einen Stern“

Ich hatte schon das eine oder andere gehört von der Vielfalt und Schönheit der Rosenblüte auf dem von Löwschen Anwesen. Auch von beeindruckenden Konzerten dort und Symposien war immer wieder zu hören. Auch hatte ich auf den Tagungen der Humboldt-Gesellschaft wie der Sokratischen Gesellschaft immer wieder manches freundliche Wort mit Freifrau von Löw gewechselt, ja, ich vermißte deren Anwesenheit spürbar, wenn sie einmal nicht zur Tagung erschienen war.

 Nun warteten wir verabredungsgemäß vor der Einfahrt zum Gutsgelände mit unserem Wagen früh am Sonntag auf Einlaß.

Als sich das große Tor zur Einfahrt öffnete. Es war freilich überraschend: Freifrau von Löw, jugendlich wirkend, mit strahlendem Lachen, in schöner Wetterauer Tracht fixierte die schweren Tore und begrüßte uns freundlich.

Wie?

Dies sollte jene Person sein, welche so viele Jahrzehnte mit Ernst und Nachdruck schwer gearbeitet, vieles aufgebaut und für vieles gekämpft hatte?

Was mochte wohl das Geheimnis dieser Seele sein, so unmittelbar sich der Gegenwart zu freuen, als hätte es jene harten Auseinandersetzungen, die viele Arbeit auf dem Gut, die straffe Organisation vieler Veranstaltungen, manche Enttäuschung nie gegeben, manchen Verzagten in den Schatten stellend?

Freifrau Heinke von Löw während der Arbeit im Rosenhof

Nun waren wir schon über eine Stunde ins Gespräch vertieft, Heinke von Löw zu Steinfurth, meine Frau und ich, in der Sitzecke des alten Torhauses, das jetzt als Archiv diente, überfüllt mit Dokumenten eines jahrzehntelangen Dienstes an der Natur, an der Kunst, am hohen Ideal der Harmonie des Menschen mit sich und mit seiner Welt. War hier Schwärmerei, weltferne Selbstgenügsamkeit am Werk? Dies eine wurde mehr und mehr im Verlaufe des Gesprächs klar: Nein, hier saß uns kein Schwarmgeist gegenüber, wohl aber jemand, den man als einen „idealistischen Realisten“ oder als „realistischen Idealisten“ kennzeichnen könnte.

Dann fiel jener schöne Satz, der sich leitmotivisch durch die Vita von Freifrau von Löw hindurchzieht: „Meine Mutter pflegte dies zu sagen: ‚Binde deinen Karren an einen Stern’.“

Dies also war es, was ihr – wenn nicht in die Wiege gelegt - , so doch vom Elternhaus mitgegeben worden war! Ein anderer Satz der Mutter fügte sich dem ganz selbstverständlich bei: „Wer auf schwankendem Grund auch schwankend gesinnt ist, vermehret das Übel“.

Dies leuchtete unmittelbar auf: Heinke von Löw, vor Jahrzehnten, nach dem schreckensreichen Kriege mit ihrem Ehemann aufgebrochen nach Steinfurth in der Wetterau (Bad Nauheim), um dort eine Bleibe zu finden und sodann im Laufe der Zeit ein Stück Natur zu gestalten, lebendig gedeihen zu lassen, ein kleines Stück Schönheit in die Welt zu bringen, war – gemäß dem Spruch der Mutter, nicht schwankend zu sein - zur Kämpferin geworden, zur hartnäckigen Verfechterin unzeitgemäßer, unbequemer Wahrheiten: Für viele nämlich begann damals in diesen Jahren der Boden zu schwanken, unmerklich, jedoch spürbar. Das, was überhitzt scheinende Phantasie moderner angelsächsischer Romanciers an moralisierender, vorauseilender Sorge in ihren Negativutopien beschrieben hatte, schien plötzlich ganz real gegeben: jene von Ernst und Friedrich Georg Jünger längst vorausgeahnte totale Aufhebung der Unmittelbarkeit als solcher, dies meint letztlich: der Natur selbst. Von dieser Zeit ab – es mochten die beginnenden Sechzigerjahre sein - bewegte sich der Lebensweg von Heinke von Löw in zwei Bahnen, die ganz im Sokratischen Sinne in all ihrem Spannungsreichtum allen (berechtigten!) Melancholien widerstanden und auf einander bezogen blieben.

Ungeachtet eines schier aussichtslosen Kampfes gegen die Macht der Manipulatoren, gegen die Enge der Bürokratie, ungeachtet der scheinbaren Vergeblichkeit der vielen Eingaben an Verantwortliche und Politiker, ungeachtet also all dieser permanenten und ermüdenden Kämpfe lebte sie mit ihrem Ehemann dem Schönen, Wahren und Guten, und der geneigte Leser möge die bewußte Wahl der Letztendlichkeit von Werten in unserer Beschreibung nicht spöttisch aufnehmen: zu unmittelbar wird uns die Schönheit der Natur, wie sie sich in dem oft gerühmten Rosengarten, den wir nun staunend vor uns sahen und von dem wir schon so viel gehört hatten, sichtbar. Man ahnt die Zuwendung zur Schönheit der Kunst, zur Musik in zahlreichen Konzerten, man begreift das Ringen um Wahrheit in den „Scheunengesprächen“, der „Schönheit“ des klaren Gedankens verpflichtet, und spürt schließlich das Freundlich-Schöne in der menschlichen Begegnung an diesem Ort – dies alles wäre hier anzudeuten.

Das Herkommen

In Gottfried Kellers Roman „Der Grüne Heinrich“ gibt es zu Anfang ein schönes Kapitel, welches dem sich entwickelnden Geschehen alemannisch-bedächtiges Gewicht gibt. Es heißt „Lob des Herkommens“. Ähnliches wurde hier im Gespräch mit Frau von Löw spürbar: tiefe heimatliche Verwurzelung und Bekenntnis zu diesen eigenen Wurzeln.

Die Familie von Frau von Löw stammte aus Angeln und Dithmarschen, jenen stillen und großartigen Landschaften in Schleswig-Holstein: Man nahm schon als Kind die Landschaft ringsherum wahr. Die Naturwissenschaften sodann wurden in der Schule „aufgesogen“, dem Praktischen war man stets zugewandt. Die Ausbildung zur Architektin wurde durch Krieg und Heirat abgebrochen. Die Familie der Mutter weltoffen auf dem Globus verteilt, geprägt durch Kunsthandwerk, “Frauenenkultur“ und Karl Forsters Blütengarten der Zukunft. Die Mutter verkürzt die Lehre der Anthroposophie: Sie mache einen guten Komposthaufen. Dieser Hinweis führte später Frau v. Löw zu den Landwirtschaftlichen Kursen von R. Steiner.

Die Familie des Ehemannes stammt aus dem Wetterauer reichsfreien Adel. Anselm Feuerbach war mit dem Ururgroßvater befreundet, mit Goethe wird über „Gott und die Welt“ diskutiert. Die Vorfahren aus der Familie Grancy – die Linie der Großmutter ihres Mannes - waren rund um den Genfer See angesiedelt. Eine Tochter dieser Großmutter brachte es zur Generaloberin des Roten Kreuzes. Auch die Linie zu den Battenbergs hin wurde erwähnt. Der Schwiegervater war der letzte preußische Landrat in Hadersleben. Der Eindruck verdichtet sich: Nach der Vergangenheit fragend wird schon allmählich die Gegenwart spürbar. Nichts kommt von ungefähr.

Die Hausherrin, Freifrau von Löw, während des Gesprächs mit Wolfgang
und Brigitte von der Weppen im ehemaligen Torhaus, im Juli 2002.

Das Rosendorf Steinfurth

Steinfurth ist heute ein Stadtteil von Bad Nauheim. Urkundlich erwähnt ist es schon im Jahre 914. Im Jahre 1311 kam der Ort an das Bistum Mainz und ist seit dieser Zeit mit dem Namen derer „von Löw“ verknüpft. Seit Ende des 14. Jahrhunderts nennt sich die Familie „Löw von und zu Steinfurth“.

Ein Erbpächter namens Schultheiß hatte die Rosenzucht in England kennengelernt und nach Steinfurth gebracht. Freilich: die Anlagen waren außerhalb des Orts auf den Feldern. 1961 wurde auf Initiative hin der von Löws die Rosen-Union gegründet und der von Löwsche Gutshof, der in jahrelanger mühseliger Arbeit von einem verwahrlosten Gelände zu einem blühenden Garten Eden geworden war, bepflanzt mit Rosen, Begleitstauden, Heilpflanzen, Wasserpflanzen und - erweitert durch den Nachbargarten – in spezielle Rosengärten umgestaltet. Viele Nachahmer fanden sich ein, und so wurde Steinfurth zum Rosendorf. Kaum zu glauben, was aus dem Gutsgelände gemacht worden war! Wie alte Fotos belegen, waren, bevor die von Löws, dem Krieg entronnen, aus Berlin kommend, das Gut übernommen hatten, die Gebäude heruntergekommen, die Böden versiegelt und nunmehr: ein blühendes Auf und Ab in einem Meer von hellerem und dunkler schattiertem Grün von Sträuchern, Gräsern und Heilkräutern.

„Als wir diesen Garten vor 40 Jahren anlegten, blühten kaum Rosen in Steinfurth - sie blühten auf den Feldern rundum und wurden im Herbst als Verkaufspflanzen geerntet. Das mußte anders werden. Die sommerlichen Besucher des Ortes waren enttäuscht von dem Dorf der Rosen.

Hier, in Verbindung mit dem historischen Hof, wurde der erste Rosengarten angelegt als Schau- und Verkaufsgarten’; für uns als Prüfgarten der Rosenneuheiten, die in wachsender Zahl auf den Markt kamen und nicht immer besser waren (und sind) als die alten, bewährten Sorten. Manche Schönheit wurde von angeblich Neuern verdrängt. Der Trend der Zeit erfaßte auch die Rosen. Nur im gärtnerischen Umgang mit der Pflanze über mehrere Jahre lernt man sie kennen. [...] Viele Initiativen gingen von diesem Hof aus; es gelang nicht alles sogleich; die Einsichten aber wachsen, daß es nicht nur um die Rose gehen kann, sondern um das Lebensganze, das beim Boden, unserer Mutter Erde, beginnt. So wurde aus unserem Rosengarten ein Garten der Vielfalt, in dem sich die Heilkräuter ansiedelten, die sich zu einer guten Begleitpflanze für die Rose entwickelt haben. Zudem geht es um die Verwertbarkeit der Rose und der Heilkräuter zur Unterstützung der Gesundheit des Bodens und des Menschen. Wir müssen begreifen, daß es hier sehr enge Zusammenhänge gibt. Wir suchen Menschen, die mit uns auf dem Weg der Erhaltung des Lebens sind, mit denen wir im Gespräch die Erfahrungen austauschen und vielleicht zusammenarbeiten können. Die Aufgaben sind groß, wir müssen sie gemeinsam tun!“ (Heinke von Löw).

Man hätte getrost nach all dem mühevollen Aufbau einfach der Schönheit gestalteter Natur leben können, eins mit ihr in der Empfindung, so etwa, wie dies die Hausherrin situativ beschreibt: „Welch ein schöner, strahlender Morgen ... Ich sitze auf der Terrasse des Hauses und freue mich an dem Glanz der über allem Grün liegt... Zaghaft beginnen die ersten Rosen die Herrschaft über das dominierende Blau des Gartens zu übernehmen. Noch teilt sich die Ruhe und Sammlung der Natur mit, vor dem großen Leuchten des reifen Sommers...“ Doch kündigen sich Veränderungen an, welche man nicht einfach unbeachtet beiseite lassen konnte.

Leben ist nicht patentierbar

Reflexion setzte ein unter dem Druck gewisser äußerer Entwicklungen in der Gesellschaft, welche eine Unmittelbarkeit des Empfindens und Erlebens gar nicht mehr zulassen wollten. Zwar galt nach wie vor: „Ich halte den Garten für die Keimzelle einer Erneuerung unserer Kultur. In einem Garten hat ja auch einmal alles angefangen. Hier gilt es heute (wie in Kleists ‚Marionettentheater’) erneut vom Baum der Erkenntnis zu essen, der dann zum Baum des Lebens wird. Die im Garten erneuerte Naturwahrnehmung kann in einer neuen Ästhetik des Alltags Gestalt gewinnen und für das Industriesystem den Weg der Umkehr zum Leben weisen.“ (Meyer Abich)

Doch eben dieses Industriesystem war es, welches Natur in ihrer Unmittelbarkeit zu zerstören drohte: „In diesem Garten begann aus der Erfahrung unser Bestreben für eine Rosenzüchtung, deren Ziel die Pflanzengesundheit und der Duft sein sollte, und nicht nur die Blühfreudigkeit, die Blütenfülle und –größe. Es begann zudem ein langjähriges Bemühen für einen vernünftigen Sortenschutz im Interesse der Züchter, Vermehrer und der Rosenfreunde. (Das ist ein großes Thema für sich.)“ (Heinke von Löw)

Schon im sogenannten „Steinfurther Rosenkrieg“ in den 50er Jahren kündigte sich das Problem an, wurde jedoch in seiner tiefen allgemeinen Problematik einer Entfremdung des Menschen von der Natur und schließlich von sich selbst noch nicht voll wahrgenommen. Die Problemlage wurde noch auf dem Hintergrund einer Vermarktungsproblematik abgehandelt: drei bis vier Großfirmen in Deutschland versuchten die kleineren Rosenzüchter von sich abhängig zu machen. Hier schritten die von Löws ein: In unzähligen gerichtlichen Eingaben bis zum Bundesgerichtshof und zum europäischen Gerichtshof in Straßburg wurde drauf gedrängt, daß kein Patentschutz auf Rosen genehmigt werden dürfe. Ein Wahrenzeichenschutz dagegen (also den Schutz eines Namens einer Rose) wurde nicht angefochten.

So wurde Frau von Löw mit ihren Anwälten zur Verfechterin eines angemessenen Sortenschutzgesetzes, das die Interessen aller am Markt Beteiligten berücksichtigen sollte. Doch die Sache begann sich auszuweiten. Der Druck einer weltweit arbeitenden Lobby, welche ja bis heute schon eine Patentierung der menschlichen Gene zu einem hohen Prozentsatz in die Hand von einem Dutzend US-Firmen spielte, erforderte einen weitaus umfassenderen Ansatz, zumal ein gewaltiger Reduktionismus im Sinne eines materialistisch-biologistischen Denkens einzusetzen begann. So schrieb Frau von Löw zu diesem Thema unter anderem: „1969 schickte mir der Patenanwalt des BDSP [Bundesverband Deutscher Samenkaufleute und Pflanzenzüchter], Dr. Heydt [Patentanwalt], seine Ausführungen zur ...Entscheidung des Bundesgerichtshofes, in der er kritisch Stellung nimmt. ... Er kommt [unter anderem] zur Aussage: ‚... daß Genetik nichts anderes ist als Chemie !’ Diese Aussage, so schrieb Dr. Heydt, hat unser Weltbild entscheidend verändert.

Ja, es hat das Weltbild verändert, für alle jene, die den Teil, das Meßbare, für das G a n z e halten ...; für mich“ sagt Frau von Löw „war es das Signal zu versuchen, deutlich zu machen, daß das Leben mehr ist, als nur Chemie“. Unser Gespräch wurde leidenschaftlicher und dichter: Ja jener unsägliche Reduktionismus, der die Dinge auf Materie und Physiologie beschränkte, war und ist überall spürbar, so etwa, wenn gesagt wird, „die Chemie müsse stimmen“, wenn eine innige „Übereinstimmung der Seelen“ gemeint ist; oder: man mache etwas „aus dem Bauch heraus“, wenn gemeint ist, daß man seiner tief inneren Empfindung gehorche. Die Bekanntschaft mit Erwin Chargaff, dem großen Biologen war bezüglich der beängstigenden Entwicklung schon fast schicksalhaft (siehe unten: Brief Chargaffs an Frau von Löw vom 6.8.1985).

Er starb am 20. Juni 2002 in New York (Nachruf in der Zeitschrift „Scheidewege“). Auf sein brennendes Pamphlet in der FAZ vom 15. Mai 99 mit dem Titel “Aufschrei des einzelnen. Die Schlacht- und Schießgesellschaft“ sei am Rande hingewiesen. Der Artikel machte bestürzend klar, welch verhängnisvollen Weg das amerikaorientierte, auf einen seichten Fortschrittsbegriff bezogene westliche Denken eingeschlagen hatte. Dennoch: der Ansatz der Mitweltschützerin von Löw ist und war nie einseitig und lebte und erneuerte sich aus der Fülle der Überlieferung. Freunde, Weggefährten wurden im Laufe der Zeit gewonnen, so etwa Erwin von Stein, hessischer Minister, Richter am Bundesverfassungsgericht, Präsident der Humboldt-Gesellschaft (er wurde unter anderem von der Sokratischen Gesellschaft mit der „Sokratischen Eule“ geehrt, eine Ehrung, die nur alle fünf Jahre vergeben wird). Die Dinge begannen sich auszuweiten.

Der freie Mensch in der freien Marktwirtschaft

Frau von Löw kam von der Lebenspraxis her, von den Erfahrungen im Raum der Rosenzucht, von den Zwängen einer zunehmenden Monopolisierung, denen der einfache, naturliebende Züchter ausgesetzt war. Mit zunehmender Zeit zeigte sich jedoch, daß die je spezielle Problematik der Patentierung von Pflanzen und der Monopolisierung eines bestimmten Marktes - dem der Rosen nämlich - als über-greifende gesamtgesellschaftliche Problematik anzusetzen war und sich mehr und mehr umfassende Entwicklungen und Gefahren abzeichneten. So mußte der Sache auf den Grund gegangen werden: „Als ich mir Gedanken über die freie Wirtschaft machte, hatte ich den Wunsch, mich noch etwas zu bilden - diese Gedanken zu untermauern! Es war wirklich ein Zufall, daß mir ein Buch von Professor Wilhelm Röpke in die Hand fiel [...]. Professor Röpke ist der geistige Vater der Marktwirtschaft und damit des deutschen und anderer Wirtschaftswunder der Welt. Er war ein leidenschaftlicher Verfechter der Freiheit sowie der ihr zugehörigen Marktwirtschaft. Er sah aber auch klar die Gefahren und Fehlentwicklungen und er hat bis zu seinem Lebensende davor gewarnt.“ (Heinke von Löw)

So kam es zu einem entscheidenden Pamphlet, mit dem Titel „Der freie Mensch in der freien Marktwirtschaft“, aus dem auszugsweise hier zitiert wird:

„ ‚Die freie Marktwirtschaft fördert die negativen Eigenschaften im Menschen!’ Das sagte ich vor Jahren. Menschen, die etwas mehr von den Dingen verstanden, versuchten mich zu überzeugen, daß auch die Planwirtschaft Nachteile hätte, [...] aber angesichts der Entwicklung und all dessen, was ich erlebte, konnte ich mein Urteil und meinen Eindruck nicht korrigieren!

Allerdings, das leuchtete mir ein, ist die Marktwirtschaft die Form der Wirtschaft, die im freien Wettbewerb zu größtmöglicher Leistung anspornt und diese Leistung war nach dem Kriege zur Förderung des allgemeinen Aufbaus notwendig.

Seit ich mich mit einem kleinen Teil der Wirtschaft beschäftige – mit ihrer Auswirkung auf den Rosenmarkt –, habe ich nun tiefere Einsichten gewonnen und da sie auf unsere ganze augenblickliche politische und wirtschaftliche Situation (die ja eng zusammenhängt) übertragen werden können, möchte ich Sie an diesem Gedankengang teilnehmen lassen:

Jedes wirtschaftliche und politische System – ganz gleich welcher Art – kann nur Erfolg im Sinne des echten Dienstes am Menschen haben, wenn es getragen wird von festen sittlichen Normen! Jede Freiheit setzt diese moralischen Kräfte voraus! Je freiheitlicher das System, desto mehr Verantwortung wird von dem einzelnen gefordert werden müssen! Wo die Verantwortung und die moralischen Kräfte fehlen, wird die Freiheit – besonders in dem Wettbewerb der Wirtschaft – zu einem Kampf aller gegen alle! Sie wird zum Konkurrenzkampf, dessen einziger Maßstab der materielle Erfolg ist!

Unsere Marktwirtschaft ist nicht absolut frei, sie ist der Versuch eines Wettbewerbs in größtmöglicher Freiheit, da wir aufgrund des Mangels an moralischen Kräften nicht fähig waren, den ganzen Wettbewerb in fairer Weise zu regulieren. Wir sind nicht fähig, diese und jede andere Freiheit zu tragen, solange die ideellen Werte so gründlich abgebaut werden. Wir dürfen nicht übersehen, daß die Krise unserer Zeit in der geistig-religiösen Krise liegt, die sich in jedem einzelnen vollzogen hat und nur in jedem einzelnen überwunden werden kann. Wir dürfen nicht übersehen, daß die herrschende intellektuelle Überzeugung atheistisch-gottlos ist. Eine Überzeugung, die gefördert wird durch die Formen, in denen sich das Leben unserer modernen Stadt- und Industriewelt abspielt. Dem Menschen der Industriewelt: fällt es schwer, innerhalb einer Welt des von Menschen Gemachten’ die Stimme Gottes’ zu vernehmen.“

Der Rosenhof derer von Löw zu Steinfurth, Hauptgebäude

Ein Zitat von Wilhelm Röpke verleiht diesem Gedanken Nachdruck: „Aber der Mensch lebt nicht von Radios, Autos und Kühlschränken, sondern von der ganzen unkäuflichen Welt jenseits des Marktes und der Umsatzziffern: von Würde und Schönheit, Poesie und Anmut, Ritterlichkeit, Liebe und Freundschaft, vom Unberechnenden, über den Tag und seine Zwecke Hinausweisenden, von Gemeinschaft, Lebensbuntheit, Freiheit und Selbstentfaltung. Alle Umstände, die ihm das verwehren oder erschweren, sind damit unwiderruflich gerichtet, denn sie zerstören den Kern seines (Menschen)Wesens.“

Andere, weitere Wegbereiter eines sozialen und ethischen Denkens traten mit ins Bewußtsein: so Klaus Michael Meyer–Abich oder Franz Vonessen, der ehemalige zweite Vorsitzende der Sokratischen Gesellschaft. Schon vor 1988 wurde Hans Jonas in den „Scheunengesprächen“ in die Reihe der in den Lesungen und Diskussionen thematisierten Autoren mit aufgenommen, im Gedanken, Freiheit und Verantwortung zu vereinen, das heißt, Freiheit vom Gedanken der Verantwortung her allererst zu legitimieren. So wurde Natur nicht länger als bloße „Um-Welt“ (sozusagen als bloße „Drumherum-Welt“) um das selbstgefällige Subjekt Mensch herum begriffen, vielmehr als „Mit-Welt“ verstanden.

Der hybride Gedanke einer rücksichtslosen Selbstverwirklichung (der ja letztlich heute in die „Spaßgesellschaft“ eingemündet ist) mußte verdächtig werden: „Selbstverwirklichung, das ist ein lebenslanger Prozeß; er kann nur gewonnen werden, wenn dabei die täglichen Pflichten (auch vor der Haustür) gegenüber der Mitwelt nicht vernachlässigt werden. Es gibt auch hier kein Entweder-Oder, sondern immer ein Sowohl-als-Auch, und ich bin mehr und mehr davon überzeugt, daß sie sich einstellt, wenn man seine Arbeit mit Freude tun kann.“ (Heinke von Löw)

Eine weitere grundsätzliche Rückbesinnung setzte ein auf die großen Kräfte der abendländischen Tradition. Der Weg zu den Quellen führte auch unter anderem zu Hildegard von Bingen: „...und der Mensch ist nicht um seiner selbst willen da oder um das Heil seiner Seele zu wirken; er ist ein Opus cum creatura. Er hat eine Aufgabe an der Welt da draußen und mehr noch: Er hat ein Amt an der Welt. Als ein Geschöpf Gottes und als ein Wesen des Miteinander ist er berufen zur Kultivierung der Welt...“

Kampf für die Mitwelt, Auseinandersetzung mit Zeitgeist und Bürokratie

Unwillkürlich mußte der Weg des Widerspruchs eingeschlagen werden gegen die zunehmend bedrohlicher werdende Entwicklung, die Beschäftigung mit den aktuellen Gegenwartsproblemen wurde noch intensiver. Protest mußte schmerzlich – nicht aus Oppositionsgeist heraus – eingebracht werden, mit Beharrlichkeit und mit Geduld. Und dies über Jahre, ja Jahrzehnte hinweg! Neben erfreulichen Erfolgen mußten auch immer wieder Rückschläge hingenommen werden. Jene Auseinandersetzungen waren nur erträglich auf dem Hintergrund eines ständigen Rückbezugs in die Unmittelbarkeit der Natur ebenso wie in die Vorgängigkeit des Geistigen.

Das polare Gleichgewicht, dem sich Frau von Löw im Sinne einer Sokratik, wie sie in der Sokratischen Gesellschaft gepflegt wurde und wird, konnte sich allerdings nicht auf ein bloßes erbauliches Genießen der Schönheiten der Welt zurückziehen und sozusagen mit geschlossenen Augen gegenüber den äußerst bedenklichen Entwicklungen und gegenüber der Not von Natur, Kreatur und Mensch sich selbst genügen.

Freifrau Heinke von Löw mit ihrem Ehemann und Prof. H. Pietschmann (links)

So also mußte der Rosengarten zu einem „politischen Ort“ (Susann Barczikowski, R/S , 11.Juni 1999) werden. Es mußte das, was sich im engeren Bereich der Rosenzucht als problematisch, als schädlich für Natur und Mensch sich anzeigte, von einem weiteren, prinzipielleren Hintergrund her begriffen und umgesetzt werden: so etwa von einer „allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten“ (Helmut Schmidt), vom Gedanken der „Qualität des Lebens“ (Erhard Eppler), von der Überwindung der Kategorien von Macht und Erfolg her: „Heute in der Spätphase positivistisch-materialistischer Auffassung wird die geistige Armut einer Epoche, die nur die Kategorien von Macht und Erfolg denkt, sehr deutlich. Es zeigt sich, daß der Mensch ohne metaphysischen Bezug nicht sinnvoll leben kann. Ohne jene übergeordnete Autorität fehlt ihm die Orientierung, hält er sich selbst für allmächtig.“ (Marion Gräfin Dönhoff/ Zivilisiert den Kapitalismus). Dieser metaphysische Grundzug ist in den schriftlichen Darstellungen und mutigen Resolutionen von Frau von Löw, ist in ihren Scheunengesprächen, ist in ihren Handlungsweisen stets lebendig, ganz ohne Attitüde und überflüssigen Selbstbezug. Die Sache, die Not ist es, welche sie antreibt, zum Widerspruch nötigt, zur Sinnbestimmung im Widerstand gegen eine mitunter schon diabolisch wirkenden Entwicklung, dabei aber Sinnbestimmtheit stets im Vorgriff haltend, den Kontakt „mit dem Boden“, mit Gaia, mit der Mutter Erde nie verlierend. 1993 sprachen in diesem Sinne Autoren wie Wolfgang Hinrichs oder Heleno Saña auf ihre Einladung hin in der „Scheune“, zu rechtem Maß in der Gesellschaft und besonders im Bereich der Bildung aufrufend. Kontakte mit dem engagierten Zeitkritiker und damaligen zweiten Vorsitzenden der Sokratischen Gesellschaft Franz Vonessen kamen hinzu.

Ab den 90er Jahren stellte sich zwangsläufig eine neue Zielrichtung ein: die Beschlüsse der Umweltkonferenz von Rio waren mitzutragen und das Projekt „Von Rio in die Region“ mit umzusetzen. Ebenfalls aufgezwungen wurde Frau von Löw der Kampf mit einer kleinlichen, wenig weitblickenden Denkmalschutzbehörde um die „Sonnenkollektoren“, welche sie beschloß, aus Gründen der Umweltschonung auf dem Dach der „Scheue“ anzubringen.

Das Ringen um Harmonie von „Natur und Geist“

Der Kampf für die Mitwelt, die Kreatur, die Lebensqualität und Lebenszugewandtheit blieb eingespannt in ein ganzheitliches Denken, welches am besten gekennzeichnet wird durch den Titel der ersten „Scheunengespräche“: „Natur und Geist“ als unaufhebbare Einheit im unaufhebbaren Gegenüber. Dies blieb durchgängig leitmotivisch!

So war auch dieser persönliche, vielfach politische Einsatz nie als bloßes Interesse, sei es psychologischer oder ökonomischer Observanz (was immer man unterstellen wollte in einer so gerne schlecht denkenden Welt) zu sehen: Kultur, Leben, Natur und Umwelt als Mitwelt waren und blieben eine Einheit jenseits bloß subjektiver Willenskundgebung!

So waren die Scheunengespräche, die ab 1972 durchgeführt worden sind, sowohl metaphysischer wie politischer Natur. Das erste Mal fanden sie mit Joachim Illies auf Schloß Kranichstein/Darmstadt statt, doch schon das zweite Mal in der „Scheune“ des Rosengartens derer von Löw in Steinfurth/Bad Nauheim. Zahlreiche Konzerte („Musikalische Feierstunden“) bereicherten das Programm, traten hinzu.

Die Titel der „Scheunengespräche“ verraten Breite, Tiefe und Zeitbezug der Themen. Einige nur davon seien hier genannt, so etwa:

  • Natur und Geist (Joachim Illies)
  • Natur und Kunst (Jörg Brena, Basel)
  • Das nie verlorene Paradies (Heinke von Löw)
  • Brauchen wir eine einzige Wirklichkeit (H. Pietschmann)
  • Reifen durch fragen nach dem Geheimnis - Franz von Assisi (J. Illies, Adolf Portmann)
  • Lebendiger Boden – Quelle der Gesundheit (Erhard Henning)
  • Europagedanken (H.O. Jacobi)
  • Frieden, ach Frieden (Alfried Lehner)
  • Grün ist mehr als eine chemische Formel. Zwischen Gesetz und Freiheit

(H. von Löw) ...

„Leitsterne“ fanden sich mehr und mehr ein: Adalbert von Chamisso, Viktor v. Frankl, Günter Altner ( Altner ist in der Stiftung Schweissfurt, welche Hermannsdorf begründet hat, für jeden im Raume München ein Begriff für artgerechte, gute Tierhaltung ! ) , Walter Heitler, Heisenberg, Hans-Peter Dürr, T. de Chardin und viele andere. In der großen Scheunenhalle - dem größten der Tagungsräume - findet sich ein großer, offener Wandschrank mit einem trefflichen Leitspruch: „Mit Tapferkeit und Weisheit, nicht mit Gewalt“. Er enthält zahlreiche Erinnerungsstücke, Texte, Briefe und Bilder der vielen, vielen namhaften Referenten und Vortragenden.

Dankbar hat Frau von Löw in einem ihrer Programmfaltblätter festgehalten, was ihr der Weisheit verpflichtete Lebende sowie Menschen aus der Geschichte und der Vergangenheit bedeutet hatten und haben. Es sei diese Synopse hier wiedergegeben:

Wegbereiter, die wußten, daß das Ganze mehr ist als seine Teile:

JAKOB BÖHME  *  HILDEGARD VON BINGEN  *  FRANZ VON ASSISI  *  GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ  *  EMANUEL SWEDENBORG  *  JOHANN WOLFGANG V. GOETHE  * GOTTHOLD EPHRAIM LESSING  * WERNER HEISENBERG  *  ALWIN SEIFERT  *  KARL FOERSTER  * CARL J. BURGHARDT  *  HANS SEDLMAYR  *  TEILHARD DE CHARDIN  *  SRI AUROBINDO  * ADOLF PORTMANN  *  JOACHIM ILLIES  *  ERWIN CHARGAFF  * ALBERT SCHWEIZER  *  MARTIN BUBER  *  HANS JONAS  *  DIE HUMBOLDT - GESELLSCHAFT  * HERBERT KESSLER UND ERWIN STEIN  *  HERBERT PIETSCHMANN UND ANDERE

Der Abend näherte sich bedenklich und wir hatten noch mehrere 100 Kilometer Fahrt vor uns. Der Eindrücke waren beinahe zu viele. Ein ganzes Lebenswerk war in wenigen Stunden an uns vorbeigezogen. Im Anschluß an das lange, äußerst dichte Gespräch wurden noch die Scheune, das Torhaus, das Hauptgebäude und immer wieder der weitläufige und vielschichtige Garten besichtigt, durchschritten, durchstaunt. Zwei, drei Stöcke der schönsten Rosensorten baten wir uns für zu Hause aus: Darunter „Margaret von Hessen“ und „Seefoam“. Ein Abendessen mit besten Zutaten und gewürzt mit heiter-besinnlichem Gespräch rundete die kurzweiligen Stunden ab. Die Sorge freilich, wer die Arbeit am Hofe wohl in Zukunft weiterführen werde, klang ganz leise mit an.

Dies aber nahmen wir mit auf die Reise: in dieser Begegnung mit Freifrau von Löw einen ganzen Kosmos erlebt zu haben, unmittelbares Naturerleben ebenso umfassend wie menschlich-tatkräftiges Engagement, fröhliche Unmittelbarkeit ebenso mit einbeziehend wie die Sorge um den abgründigen Weg, den die Menschheit möglicherweise eingeschlagen hat, diese Sorge oft in eine nachdenklich-leise Ironie kleidend. Dies nahmen wir für unsere eigene Arbeit mit auf den Weg: das Wissen um eine große Lebensarbeit eines schauenden, erlebenden wie schaffenden Menschen. Zurückwinkend stand Frau von Löw mit strahlendem Lächeln in der Einfahrt des Rosenhofes derer von Löw zu Steinfurth.

Wolfgang von der Weppen