30. Sokratisches Treffen
Programm
Rothe, Hans, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. , Bonn:
Festvortrag zum 30.Sokratischen Treffen: Osteuropa als Problem europäischer Geschichte
Nielsen, Cathrin, Dr., Frankfurt:
Sophistik und Postmoderne
Kühn, Ulrich, Dr. Berlin:
Sokrates und Alkibiades – eine biographische Notiz
Holz, Harald, Prof. Dr., Bochum:
All–Wesen und Unendlichkeit: Chinesische und europäische Landschaftsmalerei im Vergleich
De Gennaro, Ivo, Prof. Dr., Mailand:
Heraklits Fluß–Fragmente
Braun, Peter Michael, Prof.:
Quo vadis musica?
Anstelle eines Berichts: Schlußwort des 1.Vorsitzenden:
Wir haben uns für diese Tagung für das Rahmenthema bzw. Motto entschieden: Anfänge der Philosophie – Perspektiven in der Postmoderne.
Hier war ein weiter Bogen gespannt. In Erinnerung an die frühgriechischen geistigen Auseinandersetzungen, an die Vorsokratiker, an Protagoras und Heraklit, den Dunklen, den Rätselhaften, dann vor allem an Sokrates, der sich im „Kratylos“ dagegen stemmt, den Fluß selbst zum Maß zu machen, wurde die gegenwärtige Lage reflektiert.
Die Postmoderne, deren eigentlich schöner Gedanke, jenseits des Titanischen vergangener Ideologien, sein einfaches, „idyllisches“ Leben führen zu dürfen, letztlich aber in der Gleichgültigkeit des Fühlens und in der Beliebigkeit des Wertens endet – jede Meinung ist ja gleich ‚gültig’ – diese Postmoderne verfällt darin wiederum dem Diktat des von mächtigen Multiplikatoren Vorgegebenen.
Solches Diktat hat dermaßen den Alltag, das Denken beeinflußt, daß wir nicht einmal mehr der Vergangenheit, der Geschichte unseres Kontinents, unseres Landes ge– ‚wahr’ zu werden vermögen, da diese je schon verstellt ist.
Dies machte uns der Vortrag von Prof. Rothe über „Osteuropa als Problem europäischer Geschichte“ in atemberaubender Weise deutlich, wie sehr eigentlich die Wahrheit des Geschehenen, der Geschichte in der ausgehandelten „Wahrheit“ der Kommissionen, der Redaktionen, der politischen Zirkel geopfert und Wahrheit selbst zur Disposition gestellt wird.
Frau Dr. Nielsen wies in ihrem scharfsinnigen und synoptischen Vergleich der Tiefenstrukturen im Bereich der Sophistik wie der Postmoderne Ähnlichkeiten auf, die verblüffend scheinen, welche jedoch von Grund auf der Aufhebung der Wechselverwiesenheit von Sein und Werden entspricht.
In Wahrheit nämlich führt das Beharren auf einem „starren Sein“ zur Verhärtung, zur Verfestigung, das Hineinfallen aber in eine leeres Werden zur Diktatur der normativen Kraft des Faktischen, zur Herrschaft des Relativismus, zum permanenten Druck durch das Neue und das Sensationelle.
Dem aber war auch Sokrates in seinem Widerspruch in modifizierter Form ausgesetzt, auch wenn ihm die Anklage eben jenes vorwarf.
Dr. Kühn wiederum verwies uns unmittelbar auf diese Urgestalt der Philosophie, auf Sokrates, und zwar am Leitfaden eines pädagogisch zu denkenden Eros, der letztlich nicht gedacht werden darf als hedonistisches Wollen, sondern als Emporheben in Begeisterung, Bewunderung und Erkennenwollen. Von hier aus konnte die Brücke geschlagen werden zum Menschen als einem „zoon politikon“ zu welchem die wohl schillerndste, gleißendste Gestalt der griechischen Geschichte genügend Anlaß bot. Fragen nach dem Guten, dem Schönen, dem Gerechten wurden hier akut.
Prof. Holz führte uns sodann, den ersten Tag des Sokratischen Treffens abrundend, in die gegenwärtige, globalisierte Welt zurück, indem er dem Allwesen und der Unendlichkeit in der chinesischen und europäischen Malerei nachging. Die Ausformung des „Einen im Vielen“, die Individuierung des Allgedankens in ganz unterschiedlicher Ausformung, im Inbild etwa in der chinesischen Malerei wie im Abbild eines Transzendenten in der europäischen Malerei, brachte Holz mit großer Kennerschaft und in stringenter Systematik zum Ausdruck.
Der gegenwärtig drohende Schritt ins Verstummen des Geistigen wurde von Prof. Gennaro am „Flußbeispiel Heraklits“ auf den Punkt gebracht, indem er den Sokratischen Satz, „das Schwierigste aber ist, das Selbe zu denken“ in heuristischem, philosophischem Denken beharrlich zu Ende dachte. Es bliebe einer gegenwärtigen Flucht ins Werden, in die plane Zukunft letztlich nur das stumme Zeigen mit dem Finger, das Menschsein käme in einem bloß scheinpragmatischen Zustand zum Ende.
Prof. Braun brachte in seiner Fragestellung „Quo vadis musica?“ die Problematik gegenwärtiger kompositorischer Existenz wie auch des Hörens von Musik zum Ausdruck. Der Weg der abendländischen Musik, der von den Kirchentonarten, der Gregorianik, über die wohltemperierte Harmonik des Quintenzirkels mit dem entsprechenden Dur–Moll–Schema über die Polytonalität zur Atonalität führte, scheint zu Ende gegangen zu sein; Prof. Braun zeigte hier allerdings im Rückbezug auf die Naturtonreihe und deren mathematische Gesetzlichkeit neue Wege auf. Daß dies anhand von einigen reizvollen Musikbeispielen erfolgte, bildete einen schönen Abschluß unserer Tagung.
Was ich uns für die Zukunft wünsche:
Bleiben soll uns die Offenheit sokratischen Fragens, die es uns ermöglicht, uns auch gelegentlich unser „Nichtwissen“ einzugestehen, bleiben möge auch die Freude am Schönen und Bewegenden sowie die Freude an unserer freundschaftlichen Geselligkeit.