39. Sokratisches Treffen

Termin:
Samstag, 25.4.2015 – Sonntag, 26.4.2015
Thema:
Sokratische Philosophie als Seelentherapie

In seinem Dialog Charmides beschreibt Platon, wie Sokrates einen von Kopfschmerzen geplagten Jüngling trifft. Sokrates ist Charmides als heilkundig empfohlen. Seine Heilmethode besteht demnach aus einer Verbindung von Heilmittel und Zauberspruch. Der Dialog führt diese Methode dann vor. Sie erweist sich als Sokrates‘ prüfende philosophische Gesprächsweise. Philosophie als medizinische Seelentherapie, Erkenntnis als Seelenheilung – die medizinische Metaphorik in Platons Dialogen ist mehr als bloße Bildersprache. Sie beschreibt eine wichtige Funktion sokratisch-platonischen Philosophierens: nicht erst bei Epikur kann man von einer philosophia medicans sprechen. Unser Treffen möchte diese Beobachtung ernst nehmen und Bezüge zu modernen therapeutischen Bemühungen, nicht zuletzt zur Psychologie diskutieren.

Programm


Freitag, den 24. April 2015

ab 18.00
Studentische Theateraufführung: H. Ibsen, Ein Volksfeind

In „Der Volksfeind” nach Ibsen widmete sich die Freie Theatergruppe IN MEDIA SCAENA Fragen um Recht und Unrecht, Moral und Profit, Transparenz und Manipulation. Die Handlung der gesellschaftskritischen und bitterbösen Komödie wurde dafür in die heutige Zeit verlegt. Thomas Stockmann, junger Familienvater und beliebter Kurarzt, hat seiner Heimatstadt mit der Entdeckung einer Heilquelle zu einem unerwarteten wirtschaftlichen Aufschwung verholfen. Zu einem erfolgreichen Kurbad umgesetzt hat sie jedoch sein Bruder Peter, der amtierende Bürgermeister der Stadt. Das Idyll um den städtischen Erfolg stört einzig die brüderliche Rivalität. Als Thomas herausfindet, dass das Thermalwasser aufgrund schlechter Bauplanung massiv gesundheitsgefährdend ist, eskaliert die Situation. Erst der gefeierte Star, wird Stockmann schnell zum Volksfeind erklärt…


Samstag, den 25. April 2015

9.30
Eröffnung: Prof. Dr. Michael Erler,
10.00 - 11.00
Prof. Dr. Christian Schäfer, Bamberg

Ein sokratisches Heilmittel gegen das Böse: Hannah Arendts Gorgias-Interpretation

Hannah Arendts im Zusammenhang des Jerusalemer Eichmann-Prozesses vorgebrachte These von der 'Banalität des Bösen' hat ihr immer wieder den Vorwurf eingebracht, das Böse zu verharmlosen und jeder moralischen Gegenmaßnahme zu entziehen. Ein Blick auf Arendts Argumentation kann diesen Vorwurf allerdings entkräften: Ausgehend von einer Interpretation von Platons Dialog 'Gorgias' entwickelt Arendt eine Theorie, die das Böse im gestörten Selbstverhältnis des Menschen verankert und die katastrophalen Folgen dieser Störung eindringlich vor Augen führt. Gleichzeitig zeigt sie anhand der Argumente des platonischen Sokrates, wie dieses Selbstverhältnis wieder gesunden kann.

11.30 - 12.30
Tobias Janotta, Würzburg:

Die Via Virtutum als ‚Seelentherapie‘ bei Radulfus Ardens († um 1200): die Bedeutung der Ethik des inneren Menschen und der Tugenden für die Harmonie der Seele in Speculum universale

Das 14 Bücher umfassende Speculum universale des Radulfus Ardens gilt als umfangreichster systematischer Entwurf einer Tugendethik in der Übergangszeit von der Früh- zur Hochscholastik. Besondere Beachtung verdient dabei, dass Radulfus Ardens seine Tugendlehre auf der Grundlage einer komplexen Lehre von der menschlichen Seele und ihren Vermögen entwirft. Sein Hauptanliegen ist dabei, die Genese der tugendhaften Lebensführung mit der Harmonisierung der Seelenvermögen zu verzahnen. Die Eigenständigkeit seines Ansatzes beruht darauf, dass die einzelnen Tugenden nicht unverbunden ‹neben der Seele› stehen, sondern mithilfe einer innovativen Aufgliederung systematisch in den Seelenvermögen verortet werden. Der Vortrag zeigte diese Grundkonzeption des Speculum universale in erster Linie anhand von einschlägigen Textbeispielen aus der ‹Ethik des inneren Menschen› (Bücher 1-12) auf und stellte sie durch punktuelle Vergleiche mit Ansätzen von Zeitgenossen des Radulfus Ardens noch klarer heraus.

14.30 - 15.30
Prof. Dr. Andrea Kübler, Würzburg

Sonntagsfrühstück für die Seele

So umschreibt eine Malerin im sogenannten Locked-in Zustand, der sie nur noch die Augen bewegen lässt, das Brain Painting – ein durch eine Gehirn-Computer Schnittstelle (engl. Brain Computer Interface, BCI) gesteuertes Programm, das nur die Aktivität des Gehirns braucht, um farbige Bilderwelten entstehen zu lassen. Verschiedene neurologische Erkrankungen können zum Locked-in Zustand führen. Eine für Außenstehende unvorstellbare Situation des Eingeschlossenseins und der Abhängigkeit, die jedoch für Betroffene bewältigbar wird, sofern sie Prioritäten ändern können und sie mehr als zuverlässig versorgt werden. Für kreative Menschen wie unsere Künstler HHEM und JR bringt der Locked-in Zustand nicht nur den Bewegungs- und Unabhängigkeitsverlust mit sich, auch die Kreativität bleibt hinter den Mauern des gelähmten Körpers verschlossen. Daher haben wir für unsere BCIs eine Anwendung zum „Malen“ – das Brain Painting – geschaffen. Formen und Farben werden auf einem Monitor zur Auswahl präsentiert und visuelle Stimulation löst Aktivierungsmuster im Gehirn aus, die unser BCI erkennt und umsetzt, so dass auf der virtuellen Leinwand Bilder von großer Ausdruckskraft entstehen können. Der Geist kann sich wieder entfalten und neue Welten erobern. Dadurch verbessert sich die Lebensqualität und die Künstler erleben eine neue Form ihres Schaffens. Der Vortrag erläuterte die Funktion eines BCIs und Brain Painting, stellt die Künstler und ihre Werke vor und diskutierte Implikationen für den Umgang mit Menschen, die schwer und terminal erkrankt sind.

15.30 - 16.30
Norbert Lippenmeier im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Erler

Das Sokratische Oktodekagon

Das Sokratische Oktodekagon ist ein Konzept, das der Psychologe und langjährige Sokratiker Norbert Lippenmeier auf der Basis der antiken Zeugnisse über Sokrates für sein Verfahren der „supervisorischen Maieutik“ entwickelt hat (vgl. Norbert-Lippenmeier). Es wurde hier erstmals im Rahmen einer Sokratiker-Tagung vorgestellt und diskutiert in Form eines sokratischen Gesprächs zwischen Norbert Lippenmeier und Michael Erler, ergänzt durch Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum.

17.00 - 18.00
Dr. Rainer Hauer, Wien

Wie wir uns am besten verstehen – Einmaleins einer "angewandten Rhetorik" mit vielen praktischen Hinweisen

Wer sprechen kann, glaubt reden zu können. Aber wie schlecht es auch nach zwölf- oder dreizehnjährigem Deutschunterricht und noch zusätzlichem Unterricht in anderen Sprachen um die tatsächliche Redefähigkeit bestellt sein kann, zeigt sich oft nicht nur bei Vorträgen und Debatten im öffentlichen Bereich, sondern auch schon bei kleinen Geburtstagsansprachen im Privaten: an der fehlenden Verständlichkeit des Gesagten. Viele Missstände in der Techniknutzung, der Redepult- oder Klassenzimmergestaltung, die das akustische Verstandenwerden erschweren, deuten darauf hin, wie wenig inhaltliches Verständnis für die hand- und „mund“-werkliche Gestaltung des Sprechens in unserer Gesellschaft tatsächlich vorhanden ist. In seinem Vortrag erklärte der ehemalige Wiener Burgschauspieler Rainer Hauer, wie einfach richtiges Sprechen sein könnte, wenn man sich die Grundbegriffe eines Sprachen- und Sprech-Einmaleins erst einmal bewusst machen würde. Er ließ uns an seinem Wissensschatz und seiner Erfahrung in den Grundregeln des „Redens“ und der Sprechtechnik teilhaben und gab praktische und umsetzbare Ratschläge im Sinne einer „angewandten Rhetorik“.


Sonntag, den 26. April 2015

10.00 - 11.00
Marion Schneider / Vanessa Zetzmann

Die Philosophie heiligt die Mittel? - Sokrates und Rhetorik im Dienste der Philosophie

Ergebnisse des Workshops für Studierende

11.30 - 13.30

Karl Wieland Kurz, Darmstadt
Asianismus und Attizismus als widerstreitende künstlerische Gestaltungsprinzipen in der europäischen Kunstmusik von der Antike bis heute Mit Aufführung von: K.W. Kurz, Das Haus des Asterion. 12 Etüden für Gitarre (2012)

Uns überfüllts.
Wir ordnens.
Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.

Diese Zeilen aus Rilkes Achter Duineser Elegie überhöhen zweifellos dichterisch die fragile Unbehaustheit und Verletzlichkeit des "modernen", saturnisch-melancholischen labyrinthischen Künstlertypus, sind aber gut geeignet, den inneren Widerstreit klassischer und manieristischer Grundhaltungen als Disegno Fantastico-artificiale nach außen abzubilden. Folglich sondiert der Vortrag ausgewählte "Weggabelungen" manieristischer kulturgeschichtlicher Epochen als "antiklassische Konstanten": Alexandrien (ca. 350-150 v.Chr.), die ars subtilior des französisch-okzitanischen Spätmittelalters, das Indien der Seuna-Dynastie im 13. Jh. unserer Zeitrechnung, sowie die die "bewusste manieristische Epoche" zwischen ca. 1520 und 1650, um das spezifisch "Moderne", Überzeitliche, uns heute immer noch (oder schon wieder) Berührende herauszupräparieren. Kritisch-krisenhafte musikalische Funde aus diesen vier Epochen bilden als Kondensationskeime schöpferischer Energien das konstruktive Fadenkreuz der 12 Gitarrenetüden Das Haus des Asterion, die nach dem Vortrag erklingen werden.

Das Haus des Asterion versteht sich als ein zusammenhängender Zyklus, dessen außermusikalische Anregung auf die gleichnamige Erzählung von Jorge Luis Borges zurückgeht , in der ein Ich-Erzähler sein ‚Haus’ beschreibt, das sich als Labyrinth entpuppt, in dem er gefangen ist – erst am Schluss wird die Identität des Erzählers geklärt, es handelt sich dabei um die antike Sagengestalt Minotauros, die auch den Beinamen Asterion trägt. Das ihn gefangen haltende Labyrinth (das an die labyrinthische Architektur der antiken Mnemotechnik erinnert) stellt gewissermaßen eine Visualisierung unseres kulturellen Gedächtnisses dar, indem es mit dem Universum bzw. der Welt gleichgesetzt wird.