40. Sokratisches Treffen

Termin:
Freitag, 22.4.2016 - Sonntag, 24.4.2016
Thema:
Recht und Gerechtigkeit

Die Frage nach Gerechtigkeit und Recht, ihrer Durchsetzbarkeit und ihres Verhältnisses zum Glück (Eudaimonie) des Menschen ist für Platons Sokrates von zentraler Bedeutung. Sie spielt eine wichtige Rolle in den Dialogen Platons und in der platonischen Tradition und hat die Diskussion in der europäischen Geistesgeschichte mitgeprägt. Für Sokrates und Platon wird die Suche nach Gerechtigkeit und Tugend zu einer Frage nach der Ordnung in der Struktur der Seele. Der Aspekt des Handelns und des Gelingens tritt in den Hintergrund. Wenn Gerechtigkeit in der innerseelischen Ordnung des Einzelnen besteht und ethisches Verhalten auf Herstellung oder Pflege dieser Ordnung zielt, liegt der Vorwurf von Egoismus und Individualismus nahe. Doch bleibt der soziale zwischenmenschliche Aspekt bei Platon keineswegs außer Betracht. Auch hier spielt der Begriff der Ordnung (Kosmos) eine wichtige, verbindende Rolle. Denn nur die Gerechten können in einem Vertrauensverhältnis untereinander leben, Ordnung im Staat bewahren und Glück der Gemeinschaft bewirken (Politeia 575c–576a). Auch im Staat folgt das Glück aus Ordnung seiner Teile. Gerechtigkeit der Seele und im Staat werden analog gesehen.

Programm


Samstag, den 23. April 2016

9.30
Eröffnung: Prof. Dr. Michael Erler
10.00 - 11.00
Prof. Dr. Christian Tornau, Würzburg

Skepsis und Gerechtigkeit: Wie legitimiert ein antiker Erkenntniskritiker Recht, Gerechtigkeit und Moral?

Der antiken Skepsis, insbesondere in der sogenannten Pyrrhonischen, uns durch Sextus Empiricus (2./3. Jh. n. Chr.) fassbaren Spielart, ging es im Gegensatz zur modernen Skepsis nicht nur um den methodischen Zweifel (Descartes). Sie erhob vielmehr – gegen die intellektualistische, „sokratische“ Tendenz antiker Ethik – den Anspruch, dass der totale Verzicht auf verbindliche Erkenntnis lebbar und sogar glückssichernd sei. Damit erheben sich folgende Fragen: Kann der Skeptiker den ethischen Relativismus und Amoralismus vermeiden, kann er moralische Intuitionen rational einholen? Wie vermag er in ethischen Konfliktsituationen zu begründeten Entscheidungen zu kommen? Gibt es für ihn keine Gerechtigkeit, sondern nur (positives) Recht? Sextus hat sich diesen und ähnlichen Fragen gestellt; seine Antworten wurden im Vortrag kritisch nachvollzogen.

11.30 - 12.30
Marco Bleistein, Würzburg:

Gerechtigkeit (iustitia) als einheitsstiftende Kraft in Ciceros De re publica

Zu Beginn von Ciceros De re publica empört sich Laelius, dass man das Himmelsphänomen der Doppelsonne untersuche, anstatt lebensweltlich relevante Themen wie die Spaltung des Senats in zwei Fraktionen zu thematisieren. Was er damit implizit sagt: Sowohl auf der kosmischen als auch auf der irdischen Ebene herrscht ein Zustand der ‚Getrenntheit‘. Der Vortrag ging der Frage nach, ob dieser Status der Trennung auf kosmischer wie irdischer Ebene überwunden werden kann und welche Rolle der Gerechtigkeit (iustitia) dabei zukommt.

14.30 - 15.30
Dr. Stefan Groß, München

Antike Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit im Denken Benedikts XVI.

Reflektionen über Recht und Gerechtigkeit, positives und überpositives Recht haben im Denken von Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI., einen festen Platz. Doch gegenüber Materialismus und Utilitarismus liegt das Prä Ratzingers auf dem Naturrecht, das den Menschen ins Herz geschrieben ist. Das Naturrecht bleibt für den Theologen die fundamentale Basis vernünftiger Handlungsmaximen. Mit seiner Naturrechtsaufassung steht der ehemalige Pontifex in der Tradition der griechischen Antike.

16.00 - 17.00
Prof. Dr. Andrea Kübler, Würzburg

Ohne Moral und Empathie – eine neuropsychologische Perspektive

Unsere Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit beziehen individuelle Perspektiven mit ein, die auch durch Empathie geprägt sind, und wir werten Schuld nicht als absolut, sondern schließen individuelle Kontexte in unsere Beurteilungen ein. Die Moral gibt uns vor, welche Handlungen wir als akzeptabel ansehen und welche wir mit Verboten belegen. Nun gibt es Menschen, die jenseits dieser bei uns konsensualen Vorstellungen agieren. Sie ziehen vorsätzlich Nutzen aus den Schwächen anderer und schädigen andere, um für sich selbst den größtmöglichen Vorteil zu erreichen; sie fühlen sich unseren Werten und Richtlinien des Zusammenlebens nicht verpflichtet. Neurowissenschaftlich betrachtet kann man sich nun die Frage stellen, wie ein solches Verhalten ohne Moral und Empathie in unserem Gehirn abgebildet wird. Wie also unterscheidet sich das Gehirn von Soziopathen oder Personen mit sogenannter antisozialer Persönlichkeitsstörung von Personen mit normalem Verhalten? Der Vortrag informierte über die neuesten Erkenntnisse im Hinblick auf die Neurobiologie antisozialen Verhaltens. Darauf aufbauend ließen sich dann auch die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellten Fragen nach Therapie und Schuldfähigkeit diskutieren.

18.15 - 19.45
Prof. Dr. Dietmar Willoweit, Würzburg

Festvortrag: Gerechtigkeit. Sokrates´ Beitrag zum Verständnis einer modernen Problematik

Der „Gerechte“ als Leitbild des griechischen Philosophen spiegelt einen normativen Anspruch der Gerechtigkeitsidee wider, der dem modernen Rechtsdenken erhebliche Schwierigkeiten bereitet, weil ihm inhaltliche Bestimmtheit zu fehlen scheint. Der Vortrag versuchte den Gründen dieser Problematik mit begriffsgeschichtlichen Überlegungen näherzukommen und ihre politische Dimension zu verdeutlichen. Dabei erwies sich Sokrates als ein hilfreicher Ratgeber.

Musikalischer Rahmen:
Monika Gutman, Klavier

Werke von Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Erwin Schulhoff


Sonntag, den 24. April 2016

10.00 - 11.00
Marion Schneider / Albrecht Ziebuhr, Würzburg

Ergebnisse des Workshops für Studierende: Inspektor Sokrates

In dem Workshop wurde die erstaunliche Präsenz sokratischer Fragetechnik in moderner Kriminalliteratur von Dostojewski („Verbrechen und Strafe“) bis zu Colombo („Eine Frage hätte ich noch“) herausgearbeitet.

Aus Anlass des 40. Treffens der Sokratischen Gesellschaft erinnerten wir an zwei philosophische Persönlichkeiten, die die Gesellschaft maßgeblich geprägt haben: Herbert Kessler, Gründer der Gesellschaft im Jahr 1972, von Haus aus Jurist, zugleich aber Autor zahlreicher Reflexionen über sokratisches Denken und Leben; und Wolfgang v. d. Weppen, Lehrer, Dichter und Philosoph, der Herbert Kesslers Wirken fortsetzte und bis zu seinem frühen Tod 2009 Spiritus rector der Gesellschaft war.

11.30 - 12.30

Dr. Ulrich Fritz Wodarzik, Lampertheim
Das schöne Wagnis. In memoriam Prof. Dr. Herbert Kessler – Jurist und Philosoph

12.30 - 13.30

Dr. Wulf Metz, Mühldorf
Erinnerungen an Dr. Wolfgang v. d. Weppen, Erster Vorsitzender der Sokratischen Gesellschaft 2000 bis 2009