Sokratischer Selbstdenkerpreis 2022

Preisträgerin:
Aida Osmanagić (Maximiliansgymnasium München)

Wieso feiert der Mensch? – Über das Ethos des Feierns in der frühgriechischen Lyrik

In ihrer Untersuchung bringt Aida Osmanagić in origineller Weise drängende Fragen aktueller Corona-Problematik, wie sie sich gerade ihrer eigenen, in dieser schwierigen Zeit erwachsen werdenden Generation stellen, mit „alten“, anthropologischen Grundkonstanten zusammen. Mit dem geradezu sinnlich heraufbeschworenen Münchner Oktoberfest als einem rührenden Beispiel für die vielen Feieranlässe, die in den vergangenen beiden Jahren auf Grund der pandemischen Lage von einer Selbstverständlichkeit zu einem seltenen, wieder herbeigesehnten Gut geworden sind, wird von Aida Osmanagić die Frage nach dem allgegenwärtigen Bedürfnis des Menschen nach Zelebration und Feierkultur aufgeworfen. Mit dieser Fragestellung, in der der Quid-ad-nos-Gedanke, der keiner Beschäftigung mit der Antike fehlen sollte, förmlich spürbar wird, wendet sich die Untersuchung dem Fallbeispiel der frühgriechischen Lyrik zu. Unter gekonnter Auswertung antiken Bildmaterials und originalsprachlicher Texte wird ein umfassender Überblick über die antiken lyrischen Gattungen, deren wichtige Vertreter:innen, Motive und Aufführungsanlässe gegeben und im Besonderen eine eigenständige, sprachlich feinsinnige Interpretation eines Gedichts des großen Symposien-Dichters Anakreon vorgelegt: Darin werden die Kontraste von Alltag und Alter des lyrischen Ichs zur verjüngenden, aus dem Alltag heraustragenden Wirkung von Feier, Tanz und Wein herausgearbeitet.

Dass die Ausgangsfrage am Ende von Aida Osmanagić nicht beantwortet, sondern offengelassen wird, wurde von der Jury der Sokratischen Gesellschaft als bedenkenswerte Zurückhaltung im Sinne sokratischer Aporie gewertet. Für die gelungene Reflexion ihrer eigenen Lebenswirklichkeit vor einer langen Tradition Schreibender und Feiernder – zumindest zu Letzteren gehörte sicherlich auch Sokrates – gratulieren wir herzlich.